Wenn ich jemandem erzähle, dass ich als Lerntherapeutin arbeite, kommt häufig die Antwort: „Ach, du gibst Nachhilfe.“ Nicht ganz. Auch wenn beide Begriffe häufig in einem Atemzug genannt werden, verfolgen Lerntherapie und Nachhilfe völlig unterschiedliche Ziele und setzen an verschiedenen Punkten im Lernprozess an. Bevor Eltern eine Entscheidung treffen, ob ihr Kind eine Lerntherapie oder eine Nachhilfe benötigt, lohnt es sich, genauer hinzuschauen.
Lerntherapie fördert die Basiskompetenzen
Lerntherapie setzt in der Regel nicht am aktuellen Unterrichtsstoff an, sondern an den Basiskompetenzen des Lesens, Schreibens oder Rechnens. Zu Beginn steht eine Förderdiagnostik: Wo steht das Kind im Lernprozess? Welche Schwierigkeiten zeigen sich? Auf Basis der daraus gewonnenen Erkenntnisse wird ein individueller Förderplan erstellt.
Im Gegensatz dazu konzentriert sich Nachhilfe auf die Wiederholung und Vertiefung des aktuellen Unterrichtsstoffs. Sie hilft, Verständnislücken zu schließen und bereitet auf Prüfungen vor. Eine Lerntherapie hingegen baut das Fundament neu auf – und das braucht Zeit.
Das primäre Ziel der Lerntherapie ist es nicht, die Noten schnell zu verbessern. Oft hat das Kind den für die jeweilige Klassenstufe erforderlichen Wissensstand noch nicht erreicht. Das ist auch gar nicht schlimm. Es zeigt lediglich, dass in der Lerntherapie einige Stufen darunter angesetzt werden muss, um die Basis neu zu legen. Es kann also sein, dass sich die Noten erst einmal nicht verändern.
Emotionale Stärkung der Kinder
Kinder mit Lernstörungen haben oft mit mehr mit als „nur“ schulischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Häufige Begleiterscheinungen sind eine angespannte Hausaufgabensituation, beginnende Schulangst, wiederholte Misserfolgserlebnisse und ein geringes Selbstvertrauen. Diese emotionalen Belastungen können das Lernen zusätzlich erschweren – und genau hier setzt die Lerntherapie an.
In der Lerntherapie geht es nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch darum, das Kind emotional zu stärken. Wir schaffen einen sicheren Raum, in dem Fehler erlaubt sind und Fortschritte gefeiert werden. Unser Ziel ist es, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zurückzugeben und die Freude am Lernen wiederzuentdecken.
Viele Kinder mit LRS oder Dyskalkulie haben bereits gelernt, dass sie „nicht gut genug“ sind – ein Gefühl, das tief sitzt. Deshalb wird in der Lerntherapie ressourcenorientiert gearbeitet. Gemeinsam schauen wir, was das Kind gut kann, wo seine Interessen liegen und wie wir diese Stärken in den Lernprozess integrieren können. Das Ziel ist nicht nur das Lernen, sondern auch die Stärkung von Selbstvertrauen und der Selbstwirksamkeit.
Lernmaterialien mit wissenschaftlicher Fundierung
Ein weiterer Unterschied liegt in den eingesetzten Materialien. In der Lerntherapie arbeiten wir mit speziell entwickelten und wissenschaftlich geprüften Fördermaterialien. Einfach mehr zu lesen oder Wörter abzuschreiben, reicht hier nicht aus.
Stattdessen geht es darum:
- Rechtschreibregeln systematisch zu erarbeiten
- die phonologische Bewusstheit zu stärken
- mit den häufigsten Wörtern zu üben
- Korrekturstrategien lernen und anwenden
Zusammenarbeit mit Eltern und Lehrkräften
Während der gesamten Zeit der Lerntherapie sind Elterngespräche und der Austausch mit den Lehrkräften wichtige Bestandteile der Lerntherapie. Regelmäßige Gespräche mit den Eltern und der Austausch mit den Lehrkräften sind essenziell, um Fortschritte zu erkennen und die Förderung optimal anzupassen. Nach einigen Monaten erfolgt eine erneute Diagnostik, um den Entwicklungsstand zu überprüfen und den Förderplan zu aktualisieren.
Wann ist eine Lerntherapie sinnvoll?
- Wenn ein Kind trotz viel Üben oder Nachhilfe keine Fortschritte macht.
- Wenn eine diagnostizierte Lernstörung vorliegt.
- Wenn emotionale Belastungen das Lernen erschweren.
- Bei Schulangst oder einer belastenden Hausaufgabensituation
Wann reicht Nachhilfe?
- Bei Verständnislücken in einzelnen Themen.
- Wenn der Anschluss in einem Fach vorübergehend verloren gegangen ist.
- Zur Vorbereitung auf Prüfungen.
Ob Lerntherapie oder Nachhilfe – entscheidend ist die Ursache der schulischen Schwierigkeiten. Bei punktuellen Themen kann Nachhilfe helfen. Liegen jedoch tiefere Lernprobleme und emotionale Belastungen vor, ist Lerntherapie der nachhaltigere Weg.
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