Dies ist ein klassisches Beispiel für Underachievement: Der 14-jährige Jonas zeigt sich in seinem familiären Umfeld neugierig, hat ein großes Verständnis für komplexe Zusammenhänge und zeigt besondere intellektuelle Leistungen. In der Grundschule war er einer der Klassenbesten und hatte keinerlei Lernschwierigkeiten. Doch seit dem Übergang ins Gymnasium geht es stetig bergab. Seine Noten sind in fast allen Fächern mittelmäßig bis schlecht, er interessiert sich nicht für den Unterricht und hat auch kein Interesse, für gute Noten zu lernen oder sich zu engagieren.
Schlechte Noten in fast allen Fächern
Von Underachievement spricht man, wenn SchülerInnen in ihren schulischen Leistungen deutlich hinter ihrem eigentlichen intellektuellen Potenzial zurückbleiben. In der Regel sind davon nicht nur einige wenige, sondern fast alle Fächer betroffen. So können sich z. B. Defizite im Lesen und Schreiben auch auf andere Fächer auswirken, z. B. auf Textaufgaben im Mathematikunterricht.
Für SchülerInnen ist Underachievement ein großes Problem, das sich auch auf das spätere Berufsleben negativ auswirken kann. Trotzdem wird es in den beiden Krankheitsklassifikationssystemen DSM und ICD nicht als Lernstörung aufgeführt. In Schulen bleibt das Problem oftmals unentdeckt, stattdessen werden die Kinder für faul gehalten oder ihr intellektuelles Niveau wird unterschätzt. Underachievement wird häufig im Zusammenhang mit Hochbegabung diskutiert.
Anzeichen für Underachievement
Folgende Hinweise, die zum Teil auch schon im Eingangsbeispiel genannt wurden, deuten auf das Vorliegen von Underachievement hin:
- Außerhalb der Schule werden besondere intellektuelle Leistungen gezeigt, es gibt viele Interessengebiete und ein hohes Allgemeinwissen.
- Sehr gute Noten in der Grundschule mit anschließendem Leistungsabfall in der weiterführenden Schule (über den üblichen Leistungsknick hinaus).
- Schnelle Auffassungsgabe bei neuen Themen.
- Unaufmerksamkeit und Ablenkung im Unterricht.
- Keine Mitarbeit im Unterricht.
- SchülerInnen kennen die richtige Antwort, wenn sie direkt angesprochen werden.
- Nahe Bezugspersonen beobachten besondere Fähigkeiten und Kenntnisse.
Wie viele der SchülerInnen sind von Underachievement betroffen?
Nach Schätzungen von Hishaw (1992) sind 5% bis 10% der SchülerInnen als Underachiever zu bezeichnen, wobei Jungen häufiger betroffen sind als Mädchen. Darüber hinaus gehen White et al. (2018) davon aus, dass bei Hochbegabten ein Anteil zwischen 9% und 28% von Underachievement betroffen ist.
Was sind die Ursachen für Underachievement?
Die Gründe für Underachievement sind vielfältig:
- SchülerInnen beherrschen die Lernstrategien nicht richtig oder wenden sie falsch an. Dies kann zum Beispiel Lese-, Rechtschreib- oder Schreibstrategien betreffen.
- Lernende haben kein oder zu wenig Wissen darüber, wie Lernen funktioniert. Sie planen, kontrollieren und regulieren ihren eigenen Lernfortschritt nicht.
- Schlechte Noten in der Vergangenheit haben das Selbstvertrauen negativ beeinflusst.
- Dadurch fehlt die Lernmotivation.
- Ungünstige Attributionsprozesse.
Wie können minderleistende SchülerInnen unterstützt werden?
Interventionen sollten so früh wie möglich einsetzen, um eine Verfestigung des Underachievements zu verhindern. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich das Problem durch die gesamte Schullaufbahn als auch das Berufsleben zieht, wodurch die Betroffenen letztlich ein Leben lang hinter ihrem eigentlichen Potenzial zurückbleiben.
Eine Unterstützung in diesem Bereich kann auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Je nach Ursache kann eine psychologische Beratung sinnvoll sein, die an den Themen Selbstwertgefühl und Schulangst ansetzt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Motivation. Wie kann das Interesse am Lernstoff geweckt werden und wie kann man lernen, sich selbst zu motivieren?
Darüber hinaus sollten Lernstrategien vermittelt und die Planung und Überwachung des eigenen Lernprozesses geübt werden.
Kleine Fortschritte sollten immer anerkannt werden und es sollte immer deutlich gemacht werden, dass diese Fortschritte selbst erreicht wurden und kein Zufall sind (Attribution). Eine weitere Frage kann sich darauf beziehen, ob die aktuelle Schulform die Richtige ist oder eine andere Schulform geeigneter wäre.
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Weiterführende Literatur
- Evers, Wiebke (2021): Underachievement bei hochbegabten Kindern und Jugendlichen. Frankfurt am Main: Karg-Stiftung https://www.fachportal-hochbegabung.de/oid/10047/ (Abrufdatum: 25.03.2025; 14:32 Uhr)
- Hinshaw, S. P. (1992). Externalizing behavior problems and academic underachievement in childhood and adolescence: Causal relationships and underlying mechanisms. Psychological Bulletin,111, 127–155. doi: 10.1037/0033-2909.111.1.127
- Lauth, G W., Grünke, M., & Brunstein, J C. (2014]). Interventionen bei Lernstörungen: Förderung, Training und Therapie in der Praxis (2., überarbeitete und erweiterte Auflage.). Hogrefe.
- White, S.L., Graham, L.J., & Blaas, S. (2018). Why do we know so little about the factors associated with gifted underachievement? A systematic literature review. In: Educational Research Review, 24, S. 55–66.
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